Mein Hund ist stur!?

 

Verhalten hat immer einen Grund!

 

Oft höre ich Sätze wie:

Heute ist er aber wieder stur.

Gestern hat er den Boss raushängen lassen.

Er dreht da völlig durch, sind halt seine 5 Minuten.

Er zickt manchmal und ist dann agro.

 

Das sind alles „Etiketten“, die wir einem mehr oder weniger „unerwünschten“ Verhalten als „Entschuldigung“ zuordnen.

Es ist die berühmt berüchtigte Vermenschlichung der Tiere.

Wenn wir das aber mal aus verhaltensbiologischer Sicht betrachten, ergeben diese Gründe für ein Verhalten keinen Sinn.

 

JEDES Verhalten eines Tieres zielt am Ende des Tages nämlich nur auf ein einziges Ergebnis ab, 

nämlich das erfolgreiche Weitergeben der Gene!

 

Hierfür wird alles möglich untergeordnet, 

ganz profane Dinge wie das eigene Überleben (also die Sorge um Nahrung und der Schutz vor Feinden) über Brutpflege bis hin zur Unterstützung von Artgenossen.

 

Am Ende ist also der knurrende Hund auf der Couch nicht etwa der, der den Chef markiert (denn dadurch hat er keinen evolutionären Nutzen), sondern er wird sich in irgend einer Weise bedroht fühlen und dies mit Knurren anzeigen. 

 

All das kostet Energie.

Da nie zu 100% sichergestellt sein kann, dass genügend Energie (Futter, Wasser) zur Verfügung steht, hat die Natur es so eingerichtet, dass all die Maßnahmen unter die Kategorie: „so wenig wie möglich Aufwand für größtmöglichen Nutzen“ stehen.

 

Dass heißt nichts anderes als 

KEIN Verhalten entsteht einfach so um „Jemanden“ zu ärgern 

oder weil das Tier sauer oder wütend ist.

Selbst SPIELEN hat wichtige Gründe und ist nicht „nur“ Spaß.

Es dient der Beziehungspflege und, vor allem bei jüngeren Tieren, dem Erlernen von Jagdverhalten.

 

Alles andere wäre Energieverschwendung, die sich keine Art leisten kann.

 

Wir stellen demnach fest, kein Verhalten ohne Grund und vergessen dabei nicht: Man kann sich „Nicht nicht verhalten!“ 

Das bedeutet nichts anderes, als dass alles was wir an der Körperoberfläche sehen, selbst wenn der Hund nur ganz still oder ruhig liegt oder steht, Verhalten ist, das einen Grund hat.

Stur sein, Agro sein, Boss raushängen lassen sind jedoch KEINE Verhalten.

 

Kein Verhalten ohne Emotion!

  

Der oben bereits besprochene „Grund“ für ein Verhalten hat demnach auch eine emotionale Seite.

Es wird noch spannender, denn Gefühle bewirken erst Verhalten.

 

Vereinfacht gesprochen, wenn der Grund für ein Verhalten beispielsweise Angst um die eigene Sicherheit ist, haben wir die Emotion Furcht, die bewirkt dann das Verhalten Flucht oder Angriff oder Einfrieren oder Rumalbern. Dass sind die 4 F’s, welche als Reaktion zur Verfügung stehen (flight, fight, freeze, fiddel).

 

Was hat das nun mit dem bellenden Hund an der Leine zu tun?

Nun, der Hund findet den entgegenkommenden Hund unter Umständen bedrohlich.

 

Wie jetzt, mein Hund wurde noch nie angegriffen, der ist als Schäferhund halt der Macho.

 

Oben wurde bereits erklärt, weshalb kein Hund per se ein Macho ist. 

Aber Leinenaggression kann durchaus im Welpenalter klassisch konditioniert bzw. gelernt worden sein. Der Zwerg wurde am Halsband geruckelt, wenn ein entgegenkommender Hund frontal auf ihn zu kam oder die ein oder andere schlechte Welpengruppe oder das berühmt berüchtigte „da muss er durch“ (hierfür weiterführende Artikel in meinem Blog).

 

Der Leinenpöbler zeigt das Bellen und nach vorne ziehen also, weil er als 

 

Grund  für das Verhalten den Schutz des eigenen Lebens hat, 

die dazugehörige Emotion ist Angst und 

die Verhaltensstrategie aus den 4 F’s ist Angriff.

 

Nun fragt der geneigte Leser, warum lässt er das denn nicht einfach, denn mit der Zeit müsste er doch merken, dass ihm keiner was tut oder vertraut einfach seinem Halter und regt sich nicht immer so auf.

Naja, dazu sind unsere geliebten Hund kognitiv nicht einfach so in der Lage. 

(Nicht unerwähnt möchte ich hier lassen, dass es natürlich noch weitere Begründungen, wie bspw. Frustration, für dieses sog. Leinenpöbeln gibt.) 

 

Es ist unser Job ihnen alternative Verhaltensstrategien zu zeigen, erst damit können sie lernen entspannter durch solche Situationen zu gehen.

 

Ein anderes Beispiel:

 

Wie kann es also sein, dass unser vermeintlich störrischer Hund sich heute partout nicht setzen will?

  • Sind am Untergrund vielleicht viele kleine spitze Steinchen und das macht schlicht Aua. 
  • Ist es eventuell zu nass?
  • Hat er Schmerzen (Bandscheibe, Hüfte, etc.)?
  • Haben WIR das Sitzen in dieser Situation mit jenen Ablenkungen (beispielsweise Artgenossen in 100m Entfernung) überhaupt häufig und genau genug trainiert?
  • Stimmt vielleicht unsere Körpersprache nicht?
  • Ist die Impulskontrolle für diesen Tag bereits verbraucht?

 

Es gibt so einige Gründe, weswegen ein von uns gewünschtes Signal nicht zuverlässig ausgeführt werden KANN. Sturheit ist aber sicher keiner dafür.

 

Hund dreht da völlig in ihre „5 Minuten“ ab?

  • Waren die Anforderungen des Tages zu hoch? 
  • Ist der Erregungslevel zu lang/hoch (nach Spiel kommt Doof).
  • Hat der Hund überhaupt schon Entspannungsmöglichkeiten erlernt?

 

Hund zickt und knurrt?

  • Waren wir körpersprachlich mehr als übergriffig , haben den Hund bedroht (körperliches Blocken, vornübergebeugte Ansage, usw.)? 
  • Haben wir ihm etwas „verboten“ aber kein Alternativverhalten geboten (Frust).
  • Ist der Hund eventuell einfach mit der Situation völlig überfordert?
  • Hat er eine von uns noch nicht entdeckte Krankheit/Schmerzen?

 

Lasst uns versuchen die Gründe für „unerwünschtes“ Verhalten zu finden und stempeln wir sie nicht einfach mit menschlichen Etiketten ab.

 

Schöne und verständnisvolle Zeit mit euren Fellnasen.

 

©Heike Schuh 2022